Weiterführende Informationen zu diesem Modul
Die Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft Ulla Matthiesen stellt eine Schriftliche Kleine Anfrage an den Senat. Dabei geht es um bereits geführte Gespräche über geplante Anbauten von Schulen. Der Senat antwortet, dass solche Gespräche in der Regel nicht dokumentiert würden. Eine Auswertung von möglichen dokumentierten Gesprächsinhalten sei aufgrund des daraus resultierenden erheblichen Verwaltungsaufwandes in der für die Beantwortung der Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Abgeordnete sieht ihre Rechte als Mitglied der Bürgerschaft verletzt und ruft deshalb das Hamburgische Verfassungsgericht an.
Die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft sind die Repräsentanten der Hamburgerinnen und Hamburger und werden alle fünf Jahre von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Sie bestimmen damit, wer ihre Interessen und Wünsche im Parlament vertreten soll. Da die Bürgerschaft das einzige direkt vom Volk gewählte Verfassungsorgan ist, hat sie besondere Rechte in der Beziehung zu den anderen beiden Verfassungsorganen, dem Senat und dem Hamburgischen Verfassungsgericht. Sie wählt die Erste Bürgermeisterin bzw. den Ersten Bürgermeister Hamburgs, bestätigt die von der Bürgermeisterin bzw. vom Bürgermeister zuvor berufenen Senatorinnen und Senatoren und wählt die Richterinnen und Richter des Hamburgischen Verfassungsgerichts auf sechs Jahre.
Die Hamburgische Bürgerschaft kontrolliert zudem die Arbeit des Senats. Hierzu können unter anderem auch einzelne Abgeordnete Schriftliche Kleine Anfragen an den Senat richten. Diese müssen bei der Bürgerschaftskanzlei (Landtagsverwaltung) schriftlich eingereicht werden, die sie dem Senat dann übermittelt. Sie müssen vom Senat innerhalb von acht Tagen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen und die Antworten werden als Drucksachen veröffentlicht.
Die Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft Ulla Matthiesen hat folgende Anfrage an den Senat übermittelt und folgende Antwort erhalten:
Schriftliche Kleine Anfrage:
Antwort des Senats:
Da solche Gespräche üblicherweise nicht dokumentiert werden, ist eine Rekonstruktion im Nachhinein nicht Inhalt der Antwortpflicht des Senats nach Artikel 25 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg. Zudem ist eine Auswertung aller Dokumente, in denen solche Gespräche dokumentiert sein könnten, in der zur Beantwortung dieser Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit von acht Tagen mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand nicht durchführbar.
Ulla Matthiesen formuliert ihre Anfrage
Bitte erklären Sie uns zunächst, was genau das Hamburgische Verfassungsgericht ist und welche Aufgaben es hat.
Das Hamburgische Verfassungsgericht ist eines der drei Verfassungsorgane der Stadt und Teil der Judikative. Es hat seinen Sitz in einem Gerichtsgebäude am Sievekingplatz und urteilt bei Streitigkeiten darüber, wie die Verfassung auszulegen ist. Definiert werden seine Aufgaben durch Art. 65 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg. Das Gericht ist kein Präsenzgericht, sondern tritt nur zusammen, wenn es angerufen wird.
Können Sie Fallbeispiele nennen?
Das Gericht urteilt zum Beispiel bei Streitigkeiten über den Umfang von Rechten und Pflichten des Senats oder der Bürgerschaft. Es hat bereits mehrere Urteile dazu gegeben, ob bei der Beantwortung von Anfragen an den Senat die Rechte der Abgeordneten verletzt worden sind. Es gab auch Urteile über Beschwerden gegen die Gültigkeit von Wahlen zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen sowie über die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden. So hat das Gericht im Jahr 2015 entschieden, dass die in der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg normierte Drei-Prozent-Hürde für die Wahl zu den Bezirksversammlungen verfassungsmäßig ist.
Wer genau urteilt am Hamburgischen Verfassungsgericht zu solchen Fragen?
Neben der Präsidentin bzw. dem Präsidenten und der Vizepräsidentin bzw. dem Vizepräsidenten hat das Verfassungsgericht acht weitere Mitglieder. Sie werden für sechs Jahre von der Bürgerschaft gewählt und können einmal wiedergewählt werden. Für jedes Mitglied wird zudem eine Vertretung gewählt. Das Vorschlagsrecht für neue Verfassungsrichterinnen und -richter haben grundsätzlich die Fraktionen der Bürgerschaft; bezüglich des Präsidiums und eines weiteren Mitglieds des Gerichts, das hamburgische Richterin oder hamburgischer Richter auf Lebenszeit sein muss, liegt das Vorschlagsrecht allerdings beim Senat. Eine kandidierende Person stellt sich dann allen Fraktionen vor und wird von den Abgeordneten befragt. Anschließend erfolgt eine Abstimmung über die Kandidatur im Plenum der Bürgerschaft. Wenn eine Person gewählt wurde, wird sie von der Präsidentin bzw. dem Präsidenten der Bürgerschaft vereidigt.
Gibt es denn Ausschlusskriterien für die Mitglieder oder darf jeder Richter am Verfassungsgericht sein?
Sowohl die Präsidentin bzw. der Präsident als auch drei weitere Mitglieder müssen hamburgische Richterinnen oder Richter auf Lebenszeit sein, und zwei weitere Mitglieder müssen die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder des Verfassungsgerichts müssen außerdem das 40. Lebensjahr vollendet haben und die Wählbarkeit zur Bürgerschaft besitzen. Die Verfassung legt auch klare Beschränkungen fest. So dürfen zum Beispiel Mitglieder der Bürgerschaft, des Senats, des Bundestages oder der Bundesregierung nicht Mitglieder des Verfassungsgerichts sein.
Wie sieht der Ablauf einer Klage beim Verfassungsgericht aus?
Ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht unterscheidet sich nicht wesentlich von einem verwaltungs- oder finanzgerichtlichen Verfahren. Jeder Verfahrensantrag bekommt zunächst von der Geschäftsstelle ein Aktenzeichen. Dann veranlasst die Präsidentin bzw. der Präsident, dass das Verfahren dem Antragsgegner zugestellt wird. In dem Verfahren, in dem es um die Begründungsanforderungen bei einer Schriftlichen Kleinen Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Ulla Matthiesen ging, war beispielsweise der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch den Ersten Bürgermeister, der Antragsgegner.
Und dann treffen sich Kläger und Gegner vor Gericht?
Nein, dann wird erst einmal ein schriftliches Gutachten erstellt. Dieses erstellt die sogenannte Berichterstatterin bzw. der sogenannte Berichterstatter und es enthält einen Entscheidungsvorschlag. Über den Vorschlag wird in der vollen Besetzung des Gerichts beraten. Haben sich diese Richterinnen und Richter auf ein Ergebnis geeinigt, lädt die Präsidentin oder der Präsident die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung. Das Verfahren endet mit der Verkündung der Entscheidung.
Gibt es sonst noch Unterschiede zu anderen Gerichten?
Zwei Besonderheiten gibt es im Vergleich zu den Verfahren beim Verwaltungs- oder Finanzgericht: Zum einen wird die Berichterstattung bei der Erstellung des Gutachtens durch eine wissenschaftliche Mitarbeiterin oder einen wissenschaftlichen Mitarbeiter unterstützt. Diese Person ist eine hamburgische Richterin oder ein hamburgischer Richter auf Lebenszeit mit besonderen Kenntnissen im öffentlichen Recht. Zum anderen können Mitglieder des Verfassungsgerichts, die in der abschließenden Beratung mit ihrer Meinung unterlegen waren, ein Sondervotum erstellen, das dem Urteil angefügt wird.
Urteil: Das Hamburgische Verfassungsgericht hat geurteilt, dass der Senat bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage die Rechte der Abgeordneten nach Art. 25 Abs. 1 und 3 HV verletzt hat,
da er inhaltlich nicht begründet hat, warum eine Auswertung aller in Betracht kommenden Unterlagen in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war,
da er auch keine Teilantwort auf Basis einer Auswertung erwogen hat, die in der zur Verfügung stehenden Zeit hätte stattfinden können.